Aus der EINSVIER: Eine Geschichte, die noch nicht zu Ende ist

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Die Bebauung der Havelbucht mit Blick vom Rechenzentrum

Eine Geschichte, die noch nicht zu Ende ist

Wohnen ist so existentiell wie Essen, Trinken, soziale Kontakte oder Bildung. Wohnen ist wie das Dach über allen Dingen, die das Leben ausmachen. Deshalb ist das Thema Wohnen so wichtig und oft emotional aufgeladen. Laut einer Bürgerumfrage von 2023 zählen hohe Mieten und der Mangel an bezahlbaren Wohnungen zu den drängendsten Problemen der Potsdamerinnen und Potsdamer. Wer sich in unserer Stadt auf die Suche nach einer Wohnung begibt, bekommt ein Problem. Und manchen Menschen, denen es mit ihrer Wohnung jahrelang gut ging, wachsen plötzlich die Kosten über den Kopf. Warum das so ist, wollte die EINSVIER wissen.

Für manchen ist die Ursache der Wohnungsnot schnell gefunden: das rasche Wachstum der Stadt. Tatsächlich ist die Bevölkerung seit 1990 um ein Drittel gewachsen, noch deutlicher aber das Wohnungsangebot, nämlich auf das Anderthalbfache. Pro Einwohner gibt es also mehr Wohnungen als je zuvor. Rein rechnerisch müsste das eigentlich passen.

Warum es dann doch nicht passt: Die Ansprüche an das Wohnen haben sich verändert. Nicht nur die Wohnbedürfnisse, auch die Art des Zusammenlebens. Heute wohnen beispielsweise wesentlich mehr Personen allein, haben Paare weniger Kinder als früher. Daher ist die Zahl der Haushalte schneller gewachsen als die Einwohnerzahl. Die Statistik sagt: Statt 2,2 Personen, wie in den 1990er-Jahren, wohnen heute nur noch 1,8 Personen in einer Wohnung. Mal andersherum betrachtet: Wären es heute noch 2,2 Personen pro Wohnung, dann stünden rund 30.000 Wohnungen in der Stadt leer und wir hätten eine ganz andere Art von Wohnungsnot.

Ein Wohnungssuche-Zettel an Laterne
Schwierige Wohnungssuche: Ein Hilferuf per Aushang

6.500 Wohnungen fehlen

Nach Jahren intensiver Bautätigkeit begann 2022 eine Phase der Stagnation. Kredite wurden teurer, der Krieg Russlands gegen die Ukraine ließ die Preise für Energie und die Baukosten geradezu explodieren. Kräne drehen sich seither seltener in Potsdam. Wurde 2017 noch der Bau von fast 2.500 Wohnungen genehmigt, waren es 2024 laut Statistischem Landesamt gerade mal 761. Notwendig wäre mehr als das Doppelte: Aktuellen Analysen zufolge fehlen in unserer Stadt derzeit rund 1.520 Wohnungen und bis zum Jahr 2028 kommen jährlich etwa 1.680 fehlende Wohnungen hinzu. Alles in allem reden wir über mehr als 6.500 Wohnungen.

Die Gründe, warum nicht mehr gebaut wird, sind komplex, ineinander verschränkt. Die drei wichtigsten sind die Verfügbarkeit von Bauland, die Kosten der Finanzierung und die Baupreise.

Das erste Problem, die Verfügbarkeit von Bauland, ist nicht neu, hat sich aber in den letzten Jahren verschärft. Neben Krampnitz gibt es kein Gebiet in Potsdam, wo Wohnungen in dieser Größenordnung gebaut werden können. Dort, wo man bauen könnte, werden beachtliche Grundstückspreise aufgerufen. Hinzu kommt: Wo man bestehende Wohnbebauungen um neue Angebote erweitern könnte, scheitern die Projektentwickelnden am Widerstand der Anwohnenden. Im Grunde sind alle dafür, dass die Wohnungsnot beseitigt wird. Aber doch bitte nicht in der eigenen Nachbarschaft. Zum zweiten sind da die Baukosten. Allein in den letzten vier Jahren sind sie auf das Anderthalbfache gestiegen. Hier wirken sich die Energiekosten ebenso aus wie der Fachkräftemangel, der zu hohen Personalkosten führt. Zum dritten sind da die Finanzierungskosten. Wer seinen Neubau nicht komplett aus der eigenen Tasche zahlt, was hierzulande eher selten ist, braucht Kredite. Bis 2021 waren die günstig zu haben, inzwischen sind aber die Zinsen enorm gestiegen. 

Projekte in Warteschleife

Die Lage ist dramatisch: Einerseits fehlen in den kommenden Jahren tausende Wohnungen, andererseits ist der Bau mindestens ebenso vieler eingefroren. Angekündigte und teilweise schon weit vorangeschrittene Bauvorhaben verharren in Wartepositionen: 900 Wohnungen, die die ECE-Gruppe neben ihrem Stern-Center bauen wollte, kommen vorerst nicht. In Golm, wo 1.700 Wohnungen geplant wurden, hat die Naturschutzbehörde ein Veto eingelegt. 

Auf grünes Licht warten Bauherren in Marquardt, in der Innenstadt und in der Teltower Vorstadt, wo es zusammen um mehr als 1.000 Wohnungen geht. Trotz wiederholter Ankündigungen hat sich am Humboldtring, wo rund 200 Wohnungen entstehen sollen, bis Redaktionsschluss nichts Sichtbares getan. Die Vollendung des Kirchsteigfeldes durch 1.000 Wohnungen macht zwar ab und an Schlagzeilen, aber Kräne drehen sich vor 2028 auch dort nicht.

Einzig in Krampnitz geht es voran: In vier historischen Gebäuden entstehen die ersten 186 Wohnungen des neuen Stadtteils. Bert Nicke, Geschäftsführer des Entwicklungsträgers Potsdam, klingt stolz, wenn er sagt: „Wir freuen uns sehr, dass nach langer Vorarbeit bald Menschen ein neues Zuhause finden“. 

So soll es künftig in der Slatan-Dudow-Straße in Drewitz aussehen.
Ein Wohnquartier aus der Luft fotografiert. Im Hintergrund ist Gewässer zu sehen.
Die ersten Wohnungen in Krampnitz werden voraussichtlich noch dieses Jahr bezogen.

500 Gesuche für eine Wohnung

Das zähe Vorankommen spüren die Wohnungssuchenden. Die ProPotsdam bietet im Monat durchschnittlich etwa 50 Wohnungen an und erhält für diese 13.000 Mietgesuche. Das macht pro Angebot durchschnittlich 260. Handelt es sich um eine familiengerechte Wohnung, dann sind es sogar 500 Interessierte.

Die größer werdende Schere zwischen Angebot und Nachfrage treibt die Mieten nach oben. Die Mieten der in Potsdam angebotenen Wohnungen liegen laut ImmoScout24 im April 2025 durchschnittlich bei 12,44 Euro pro Quadratmeter Wohnfläche. Noch vor 5 Jahren lag der Durchschnittswert unter 10 Euro. In einzelnen Fällen werden heute bis zu 24,70 Euro verlangt.

Auch Mietende, die schon lange in ihrer Wohnung wohnen und sich nicht verändern wollen, spüren den Druck. Holger Catenhusen, geschäftsführender Vorstand des Mietervereins Potsdam und Umgebung hat beobachtet: „Bei Mieterhöhungen wird zuweilen das gesetzliche Prozedere nicht eingehalten.“ Anders bei der soziale Wohnungswirtschaft, zu der neben der ProPotsdam die Genossenschaften gehören: Sie halten den Ball flach und ihre Mieten bei durchschnittlichen 6,44 Euro pro Quadratmeter. Allerdings bewirtschaften sie mit rund 40 Prozent der Mietwohnungen nicht einmal den halben Wohnungsbestand der Stadt.

Etwa drei Viertel der Potsdamerinnen und Potsdamer wenden weniger als 600 Euro für ihre Miete auf. Das klingt erstmals gut, aber auch hier ist etwas in Bewegung gekommen: Die jüngste Bürgerbefragung registrierte für die Jahre 2018 bis 2023 einen Anstieg der monatlichen Kaltmiete um durchschnittlich 1,30 Euro pro Quadratmeter. Der Anstieg habe sich im selben Zeitraum beschleunigt, so das Ergebnis der Untersuchung. 

Förderung tut not

Ansteigende Mieten, kaum verfügbare Wohnungen, schwache Bautätigkeit: Wo liegt die Lösung? Was muss man tun, um Bewegung in das Gewirr von Abhängigkeiten zu bringen? Der klassische und naheliegende Weg führt über den Neubau von Wohnungen. Angesichts der oben beschriebenen Veränderungen bei den Kosten fürs Bauen und den Aufwendungen für deren Finanzierungen sind Mieten aber erst ab 23 oder mehr Euro pro Quadratmeter wirtschaftlich tragfähig. Das ist kaum und nur von wenigen zu bezahlen. Abhilfe könnten Fördermittel schaffen. Auf die warten derzeit fast alle Investierenden, denn auch die privaten Unternehmen haben neuerdings die öffentlichen Mittel als Finanzinstrument entdeckt. 

Allerdings sind die Kassen des Landes nicht sehr voll. Im letzten Jahr reichte es für die Förderung von etwa 1.300 Wohnungen im ganzen Land, in diesem Jahr ist das Volumen kaum erhöht worden. Brandenburgs Bauminister Detlef Tabbert kommentiert: „Wir haben nicht mehr Geld, wir müssen sparen.“ Der Verband Berlin-Brandenburgischer Wohnungsunternehmen mahnt: „Statt Kürzungen braucht Brandenburg eine leistungsfähige Wohnraumförderung, die den drastisch gestiegenen Kosten für Neubau und Modernisierungen Rechnung trägt“, hieß es. Eine deutliche Ausweitung sei notwendig, mindestens aber die Fortschreibung des bisherigen Förderumfangs.

Eine Grafik, die den hohen Förderbedarf für den Bau von neuen Wohnungen erklärt.
Wegen massiver Kostensteigerungen benötigen wir heute dreimal so hohe Fördermittel, um dieselbe Anzahl an bezahlbaren Wohnungen bereitzustellen. Quelle: ProPotsdam GmbH

„Es ist wichtig, dass der soziale Wohnungsbau am Laufen gehalten wird und es dafür Fördermittel gibt.“

Holger Catenhusen, Mieterverein Potsdam und Umgebung

Einigkeit mit Mieterorganisation

Wohnungsverband und Mieterorganisationen sind sich in diesem Punkt einig. „Aus unserer Sicht ist es wichtig, dass der soziale Wohnungsbau am Laufen gehalten wird und es dafür Fördermittel gibt“, meint Holger Catenhusen vom Mieterverein Potsdam und Umgebung. Und weiter: „Die Genossenschaften und die kommunale Pro Potsdam sind die Mietpreisdämpfer in dieser Stadt. Sie sollten gestärkt werden. Mehr kommunaler und genossenschaftlicher Wohnungsbau wäre wichtig für Potsdam.“

Wenn Sie, liebe Leserinnen und Leser, bis hierhergekommen sind und sich nun fragen, wo eigentlich das optimistische Ende des Textes bleibt: Diese Geschichte hat kein Happy End. Aber sie ist ja auch noch nicht zu Ende.

TEXT CARSTEN HAGENAU