Aus der EINSVIER: Der Wunscherfüller

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Rückansicht eines jungen Mannes, der jemanden im Rollstuhl auf einem Dünenweg zum Meer schiebt

Der Wunscherfüller

Noch einmal das Meer sehen, Tiere im Zoo beobachten oder einfach die Familie besuchen und umarmen. Das Projekt „Wünschewagen“ der Hilfs- und Wohlfahrtsorganisation Arbeiter-Samariter-Bund (ASB) erfüllt Herzensangelegenheiten sterbenskranker Menschen. Möglich ist dies durch den Einsatz ehrenamtlicher Helfer. Marcus Ludwig ist einer von ihnen.

Seit 2019 gehört Marcus Ludwig zum Team des Brandenburger Wünschewagens, das sterbenskranken Menschen eine letzte Reise ermöglicht. Von dem Projekt erfahren hat er bei einem Benefizkonzert des Landespolizeiorchesters für den Wünschewagen im Nikolaisaal, wo Ehrenamtliche gesucht wurden. „Es war Liebe auf den ersten Blick“, sagt er. Als Intensivpfleger brachte er zudem die besten Voraussetzungen mit – und das nicht nur fachlich. Auch mit den Themen Krankheit und Tod ist Marcus Ludwig vertraut.

 

Erinnerung an glückliche Zeiten

Etwa einmal im Monat ist der 45-Jährige seither mit dem Wünschewagen auf Tour. Dafür nutzt er freie Tage. Die Teammitglieder werden in einem Gruppenchat über anstehende Touren informiert – wer Zeit hat, kann sich zum Einsatz melden. Von der Feuerwache in Teltow, wo der speziell ausgestattete Transporter sein Domizil hat, geht es zu den Fahrgästen und dann ans Ziel. Zwölf bis 14 Stunden dauert so ein Einsatz meist, ab und an wird auch eine Übernachtung eingeplant.

Noch einmal die Füße in die Ostsee halten, den Harz sehen oder den Wind einer einfahrenden Berliner U-Bahn im Gesicht spüren: Die Wünsche der sterbenskranken Menschen sind bescheiden. Sie möchten an Orte, die sie an glücklichere Zeiten erinnern. Manche Fahrgäste leben nur noch für diesen Ausflug und sammeln letzte Kräfte, erzählt Marcus Ludwig. Einige sterben kurze Zeit nach der Rückkehr.

Junger Mann in blauer Jacke steht vor der geöffneten Seitentür eines Kleinbusses
Ehrenamtler aus vollem Herzen: Marcus Ludwig begleitet todkranke Menschen an ihre Sehnsuchtsorte.

Manchmal verfasst Marcus Ludwig auch die bewegenden Geschichten zu den Ausflügen, die auf der Homepage und der Facebook-Seite des Wünschewagens nachzulesen sind. Trotz seines fordernden Jobs im Potsdamer St.Josefs-Krankenhaus gibt ihm seine ehrenamtliche Tätigkeit viel: „Dadurch, dass es ehrenamtlich ist, hat es noch mal einen anderen Wert, als wenn ich dafür bezahlt werden würde.“ Beim Wünschewagen arbeite er, weil er von dem Projekt überzeugt sei. Bei seinem Arbeitgeber und im Familien- und Bekanntenkreis kommt Marcus Ludwigs Engagement gut an. So manche*r wolle selbst mitmachen oder spendet für das Projekt, berichtet er.

Kleinbus, der auf einer Alleestraße durch eine ländliche Region fährt.
Letzte Wünsche werden wahr mit dem Wünschewagen des ASB.

Finanziert durch Spenden

Aber wie hält man das aus, die Schicksale, den Tod, der immer mitreist, manchmal bei Fahrgästen, die im selben Alter sind wie der Ehrenamtliche oder noch jünger? „Ich bin es gewohnt, professionell zu sein“, erklärt der Geltower: „Und eine gewisse Distanz bleibt doch.“ Zudem fahre er mit den schönen Erinnerungen nach Hause, die auf den Touren entstehen. Etwa, wenn ein Kellner im Restaurant einen Fahrgast von dessen früheren Besuchen wiedererkennt.

Seit fünf Jahren gibt es den Wünschewagen. Finanziert wird das Projekt ausschließlich durch Spenden. Denn Marcus Ludwig und seine Kollegen arbeiten zwar ehrenamtlich, aber die Ausrüstung und die Wartung des Transporters sowie die Reisen selbst kosten natürlich Geld. Auch die ProPotsdam gehört zu den Sponsoren. Zudem hat der Brandenburger Wünschewagen bereits erfolgreich am Förderwettbewerb der ProPotsdam „Gemeinsam FÜR Potsdam“ teilgenommen.

Eine Zeit lang waren aufgrund der pandemiebedingten Einschränkungen keine Touren mit dem Wünschewagen möglich, etwa weil man nicht nach Mecklenburg-Vorpommern reisen durfte oder Restaurants geschlossen waren. „Das fand ich ganz furchtbar, weil viele einfach ohne die Erfüllung ihres letzten Wunsches gestorben sind“, bedauert der Intensivkrankenpfleger. Inzwischen finden wieder Fahrten statt. Einen Ausgleich zu Hauptjob und Ehrenamt findet Marcus Ludwig bei seinen summenden Gefährten: Seit drei Jahren ist er begeisterter Hobby-Imker. Elf Völker an drei Standorten pflegt er und stellt seinen eigenen Honig her. Am liebsten würde er Schulkindern das Imkern zeigen. Doch das muss noch warten. Es sind noch viele Wünsche zu erfüllen.

 

TEXT ANJA RÜTENIK

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