Aus der EINSVIER: Eine sichere Zuflucht

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Eine Frau mit dunklen Haaren, gekleidet in grüngrauer Bluse, steht vor dem Frauenzentrum in der Schiffbauergasse

Eine sichere Zuflucht

Schätzungsweise jede vierte Frau in Deutschland wird in ihrem Leben Opfer häuslicher Gewalt. Alice Stein von der Frauen-und Mädchenberatungsstelle und Lili Schipurow vom Frauenhaus Potsdam helfen Betroffenen, die Hilfe und Schutz suchen. Der Weg in ein selbstbestimmtes Leben ist für die Frauen oft schwer – auch weil bezahlbarer Wohnraum knapp ist.

Zuhause ist, wo man sich geborgen fühlt. Eigentlich eine Selbstverständlichkeit. Doch für einige, vor allem Frauen, ist das eigene Heim leider kein sicherer Ort. Weil der Partner aggressiv ist und zuschlägt, einen psychisch quält, demütigt und kontrolliert und die Gewalt zu Hause allgegenwärtig ist. „Circa 80 Prozent der Opfer von häuslicher Gewalt in Deutschland sind Frauen“, weiß Alice Stein von der Frauen- und Mädchenberatungsstelle in Potsdam. Bereits seit vielen Jahren können sich Betroffene an das Autonome Frauenzentrum Potsdam wenden. Neben der Beratungsstelle betreibt der Verein auch das Frauenhaus und eine Frauennotwohnung.

Mit einem blauen Fleck kann man zum Arzt gehen und es fotografieren lassen, aber Gewalt hat viele Formen.

Eine lächelnde Frau mit schwarzen Haaren und graugrüner Bluse steht vor dem gläsernen Eingang eines Backsteingebäudes
Alice Stein, Autonomes Frauenzentrum Potsdam e.V.

Alice Stein ist Diplom-Sozialpädagogin, systemische Beraterin und Kinder- und Jugendpsychotherapeutin und arbeitet seit 2016 in der Beratungsstelle. Sie berät Betroffene aus ganz Brandenburg in Krisensituationen. „Die Frauen kommen in allen Lebenslagen zu uns. Oft relativ zerrüttet oder psychisch nicht sehr stabil. Dann geht es zunächst darum, zu klären, was sie brauchen“, erklärt sie.

In besonders bedrohlichen Situationen kann man nach dem Gewaltschutzgesetz gerichtlich beantragen, dass der Partner das Zuhause für eine gewisse Zeit nicht betreten darf. „Dann sind wir aufgefordert herauszufinden, ob die Frau einen neuen Wohnraum braucht oder sich die Situation beruhigt und ob sie therapeutische Unterstützung oder anderweitige Hilfe benötigt“, erzählt Alice Stein.

Nicht jede Frau kann oder möchte aber in ihrem Zuhause bleiben, einige müssen sogar aufgrund akuter Gefahr den Wohnort wechseln. Ihnen kann das Frauenhaus vorübergehend einen sicheren Unterschlupf bieten. Der Standort der Einrichtung ist geheim: Selbst ihrer besten Freundin, der Mutter oder ihrem Arzt dürfen die Frauen nicht erzählen, wo genau sie sich aufhalten, erklärt Lili Schipurow, die seit sechs Jahren als Sozialarbeiterin im Frauenhaus arbeitet. Eine große Anzahl der betroffenen Frauen finden durch Beratungsstellen, Polizei oder manchmal auch einfach durch die Kita der Kinder zum Frauenhaus. Wollen die Betroffenen direkt Kontakt aufnehmen, ist das nur telefonisch oder per Mail möglich. „Dann können wir uns mit der Frau treffen und auch eine erste unverbindliche Beratung ist möglich“, bemerkt die Sozialarbeiterin.

Das Frauenhaus, das von der ProPotsdam vermietet wird und saniert wurde, hat 21 Betten verteilt auf 12 Zimmer in vier Wohnge­meinschaften. Jede Frau hat ihren eigenen Raum. Küche und Badezimmer teilen sie sich mit den anderen. So traurig es klingt, fast immer seien alle Zimmer belegt, berichtet Lili Schipurow. Die Frauen kommen oft mit nichts als ihrer Kleidung am Leib ins Frauenhaus. Sie haben viele Arten der Gewalt erfahren, nicht immer sieht man ihnen das Erlebte an. „Das Thema häusliche Gewalt wird oft auf körperliche Gewalt reduziert, aber es ist ja viel, viel mehr. Es ist die soziale, die finanzielle Kontrolle oder sexuelle Gewalt“, erklärt Lili Schipurow. Darum sei es manchmal sehr schwierig, die Misshandlung nachzuweisen. „Mit einem blauen Fleck geht man zum Arzt und kann es fotografieren lassen, aber Gewalt hat viele Formen“, betont sie mit Nachdruck.

13 Frauen, unterschiedlich gekleidet, unterschiedlichen Alters und Herkunft stehen auf einer betonierten Fläche vor einer Häuserzeile
Seit mehr als 30 Jahren engagiert sich das Autonome Frauenzentrum in Potsdam.

Im Haus kommen die Frauen zunächst zur Ruhe und können sich stabilisieren. Die Mitarbeiterinnen der Einrichtung helfen bei der Bewältigung des Alltags, der Aufarbeitung der Gewalterfahrung, bei Ämtergängen und vielem mehr. Wie lange die Frauen bleiben, entscheiden sie selbst. Manche sind nur einen Tag da, andere Monate. Oft hätten die Betroffenen zuvor viel Kontrolle erlebt, wie Lili Schipurow aus jahrelanger Erfahrung weiß. Darum sei es sehr wichtig, dass sie hier das Tempo mitbestimmen dürfen.

Sind die Frauen bereit, in eine eigene Wohnung zu ziehen, unterstützt das Team des Frauenhauses bei den nötigen Anträgen oder hilft mit Sachspenden bei der Ausstattung. Viele Betroffene haben aufgrund ihrer finanziellen Situation einen Anspruch auf sozialgeförderten Wohnraum. Dennoch sei es schwierig, eine bezahlbare Wohnung in Potsdam zu bekommen, merkt die erfahrene Sozialarbeiterin an. Sie wünscht sich, dass die Wohnungssuche schneller läuft und dass die Frauen mehr Wahlmöglichkeiten haben, um eine Wohnung und ein Wohnviertel zu finden, in dem sie sich wieder sicher fühlen. Die beiden Mitarbeiterinnen vom Frauenzentrum fordern generell mehr Verständnis – auch von den Vermietern. Das Thema müsse endlich aus der Tabu-Ecke herauskommen. Denn, häusliche Gewalt finde überwiegend im Wohnraum statt, betont Alice Stein.

TEXT SARAH STOFFERS

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