Aus der EINSVIER: Potsdam braucht gemischte Quartiere

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Potsdams Sozialbeigeordnete Brigitte Meier steht lächeln in dunkelblauem Kostüm vor einer Potsdamer Skyline, die die Havelbucht zeigt.

Potsdam braucht gemischte Quartiere

Brigitte Meier ist seit Mitte 2019 die Sozialbeigeordnete der Landeshauptstadt, offiziell die Beigeordnete für Ordnung, Sicherheit, Soziales und Gesundheit, sowie die Aufsichtsratsvorsitzende der ProPotsdam. In den letzten anderthalb Jahren war sie vor allem mit dem Corona-Management der Stadt befasst. Über ihr Ankommen in Potsdam, die Lage auf dem Wohnungsmarkt und das Recht auf angemessenen Wohnraum sprach Carsten Hagenau mit der aus Bayern stammenden Sozialdemokratin.

Frau Meier, seit 2019 leben Sie in Potsdam, sind Sie schon etwas heimisch geworden?

Von den zwei Jahren waren anderthalb pandemisch. Vieles war deshalb nicht möglich, was dabei hilft, heimisch zu werden. Aber in der Stadtverwaltung bin ich gut angekommen und in den kommunalen Organisationen, wie der ProPotsdam und dem Klinikum Ernst von Bergmann. Das hat aber auch viel mit Corona zu tun, in der beide große Aufgaben zu bewältigen hatten.

Drei helle, mehretagige Wohnhäuser umschließen einen begrünten Innenhof und geben den Blick auf eine bepflanzte Terrasse frei
In den vergangenen 10 Jahren hat die ProPotsdam rund 1200 Wohnungen gebaut, davon einen Großteil der Wohnungen für Haushalte mit geringem Einkommen im Bornstedter Feld.

Eine dieser Aufgaben der ProPotsdam ist die Schaffung von bezahlbarem Wohnraum. Wie schätzen Sie die Situation auf dem Potsdamer Wohnungsmarkt ein?

Gefühlt gibt es derzeit bei der Mietentwicklung einen Turbobeschleuniger, vor allem bei frei finanzierten Wohnungen. Wenn man befürchten muss, dass man mit dem eigenen Einkommen auf dem Wohnungsmarkt zunehmend Probleme bekommt, ist das eine große Last. Die Debatte zum Mietendeckel für die ProPotsdam spiegelt diese Ängste der Bürger wider.

Und wie ist die objektive Lage?

Für Wohnungssuchende ist die Situation mehr als schwierig. Umso wichtiger ist es, über Unterstützungsangebote wie den Wohnberechtigungsschein zu informieren. Insgesamt aber empfinde ich die Situation bei Weitem nicht so dramatisch. Die Bestände der ProPotsdam und der Genossenschaften machen immerhin 40 Prozent des Potsdamer Wohnungsmarktes aus. Das ist sehr viel und damit wirken sie auch dämpfend auf die Mietpreisentwicklung in der gesamten Stadt.

Sie erwähnten den Wohnberechtigungsschein, den WBS. Stadt und ProPotsdam machen gerade viel Werbung dafür, vor allem für den WBS für die 2. Einkommensgruppe. Was ist der Grund?

Wir haben ausgerechnet, dass 40 Prozent der Potsdamerinnen und Potsdamer aufgrund ihres Einkommens einen Zugang zum WBS hätten. Gleichzeitig hatten wir im Jahr 2019 Probleme, die neuen städtischen Wohnungen mit Belegungsbindungen zu vermieten. Auf der einen Seite haben wir diejenigen, denen noch nicht bewusst ist, dass sie mit ihrem Einkommen dazuzählen. Auf der anderen Seite gibt es Bedenken, zum Wohnungsamt zu kommen. Ich muss das mal klarstellen: Ein WBS ist kein Makel, sondern eine Berechtigung für eine subventionierte Wohnung.

Menschen mit Einkommen im unteren Bereich sollten überall in Potsdam wohnen können.

Portraitbild einer gelockten, dunkelhaarigen Frau, die lächelt und einen dunkelblauen Blazer und eine weiße Bluse trägt. Im Hintergrund sieht man verschwommen Wohnhäuser und Plattenbau.
Brigitte Meier, Sozialbeigeordnete der Landeshauptstadt Potsdam

In einem Zeitungsinterview kurz nach ihrem Antritt haben Sie sich verwundert darüber geäußert, dass man sich in Potsdam nicht mit dem Thema Armut beschäftigt.

Und das ist immer noch so! In Potsdam gibt es ein gravierendes Gefälle zwischen Arm und Reich. Hier leben Menschen, die sich Villen mit Wasserlage leisten können, andere, die Probleme haben, ihre Mietwohnung im Schlaatz zu stemmen. Ich fände es für viele Fragen der Stadtentwicklung sehr hilfreich, wenn wir über diese Umstände Genaueres wüssten.

Was wäre daran hilfreich?

Weil man aus einem Armutsbericht sozialpolitische Konsequenzen und Maßnahmen ableiten kann, zum Beispiel: Wenn dadurch belegt wird, dass in einem Quartier außerordentlich viele arme ältere Menschen leben, dann weiß ich, dass ich dort entsprechende Unterstützungsangebote schaffen muss, etwa aufsuchende Sozialarbeit oder Pflegeangebote. Aber es geht um viel mehr: Ich bin davon überzeugt, dass Städte gemischte Quartiere brauchen. Menschen mit Einkommen im unteren Bereich sollten überall in Potsdam wohnen können, daher muss es in allen Stadtteilen entsprechende Wohnangebote geben. Heterogene Quartiere bedeuten durchmischte Schulklassen und Kindergartengruppen, die den Kindern unterschiedliche Möglichkeiten aufzeigen. Mädchen und Jungen, die in homogenen Quartieren aufwachsen, wissen oft gar nicht, dass es noch ein anderes Leben gibt. Daher ist es gesellschaftspolitisch wichtig, dass die Quartiere durchmischt sind.

Drei Jungs bauen mit Hilfe eines Erwachsenen bei sonnigem Wetter eine Konstruktion aus Holzpaletten und Holzbrettern. Im Hintergrund sind Hochhäuser zu sehen.
Im Rahmen des von der ProPotsdam unterstützten Ferienprojektes „Stadt der Kinder“ bauen sich Kinder und Jugendliche am Schlaatz ihr Quartier der Zukunft.

Am Schlaatz beobachten wir seit zwei Jahrzehnten die soziale Entmischung und dass sich die Lage immer weiter verschärft. Was läuft da falsch?

Wir haben hier ein Dilemma. Wenn wir wohnungslose Haushalte oder Menschen mit Fluchthintergrund unterbringen müssen, dann passiert das oft am Schlaatz. Damit haben wir die Situation jedoch noch verschärft. Was uns hier wirklich helfen kann, ist die Quartiersentwicklung. Dazu gehört auch zu prüfen, wo man am Schlaatz für neue Zielgruppen bauen kann, um das Quartier noch einmal zu durchmischen. Ein Armutsbericht kann hier Orientierung geben, da er aufzeigt, welche Haushalte in diesem Quartier noch unterrepräsentiert sind. Gleiches gilt für Quartiere, in denen überwiegend Besserverdienende wohnen: Wenn es hier ein städtisches Grundstück gibt, sollte an dieser Stelle sozialer Wohnungsbau erfolgen.

Es gibt Berufe, die so gering entlohnt werden, dass die Beschäftigten damit nicht den eigenen Lebensunterhalt bestreiten können. Ist das nicht das eigentliche Problem? Nicht die Wohn-, sondern die Lohnpolitik?

Bei uns hat jeder das Recht auf eine angemessene Wohnung. Es gibt Tätigkeiten, vor allem im Dienstleistungssektor, die aktuell nicht so bezahlt werden, wie wir es uns wünschen. Diese Menschen muss man unterstützen – mit einem WBS oder zum Beispiel auch mit Wohngeld. Ich finde, das ist soziale Gerechtigkeit. Aber es wird auch immer Personen geben, die es auf dem Arbeitsmarkt allein nicht schaffen werden. Auch um die müssen wir uns kümmern. Es gibt zum Beispiel zu wenig Wohn­raum für psychisch Kranke oder für Abhängige, die nicht mehr clean werden. Solche Angebote brauchen wir dringend mehr.

Wer soll denn so etwas anbieten?

In den vergangenen Jahren konnte die ProPotsdam bereits viele Erfahrungen mit alternativen Wohnformen sammeln. Wenn es um Angebote für psychisch Kranke oder hochbetagte Menschen geht, könnten ganz neue Allianzen entstehen, etwa zwischen der ProPotsdam und dem Bergmann-Klinikum.

Sie erwähnten bereits den diskutierten Mietendeckel für die ProPotsdam, deren Aufsichtsratsvorsitzende Sie sind. Was kann dieser leisten?

Weder an der Lage auf dem Wohnungsmarkt noch an der erwähnten subjektiven Wahrnehmung wird ein Mietendeckel für die ProPotsdam etwas ändern. Dieses Bürgerbegehren trifft den Falschen. Ein Blick auf die hochpreisigen Angebote in den Online-Wohnungsbörsen zeigt, dass weder die ProPotsdam noch die Genossenschaften das Problem sind.

Ist Wohnungspolitik für Sie eine bauliche Frage oder eine soziale?

Beides. Hier, im sogenannten Speckgürtel, 50 Kilometer um Berlin herum, bieten sich viele Potenziale, das Wohnungsproblem in Potsdam und auch in Berlin zu lösen. Das gelingt jedoch nur, wenn man die Räume anders denkt, nicht jede Kommune für sich allein, sondern gemeinsam als Region. Die Devise muss lauten: Bauen, Bauen und nochmals Bauen! Wichtig hierbei ist, von Anfang an die verkehrliche und soziale Infrastruktur mitzuentwickeln sowie ein behutsamer Umgang mit den Flächen, also Geschosswohnungsbau statt Einfamilienhäuser. Gleichzeitig müssen wir sozialpolitisch Vorkehrungen treffen, so dass sich alle Menschen bedarfsgerechten Wohnraum leisten können.

Haben Sie sich in den letzten zwei Jahren an den Brandenburger Charme gewöhnen können?Manchmal können die Potsdamerinnen und Potsdamer ja schon etwas schroff sein.

Waren Sie noch nie in Bayern? Auch der Münchner „grantelt“. Dort wird man bereits angeblafft, wenn man es wagt, den vermeintlich falschen Senf zur Weißwurst zu bestellen. Nein, ich finde die Brandenburger sehr freundlich.

Extreme Froschperspektive mit Blick auf zwei Baukräne, die über ein sich im Bau befindliches Wohngebäude ragen
Im Zuge des Neubauprogramms errichtet die ProPotsdam von 2011 bis 2027 insgesamt 2.500 neue Wohnungen in Potsdam, zahlreiche davon mit Mietpreis- und Belegungsbindung.

Vielen Dank für das Gespräch.

Portraitbild einer gelockten, dunkelhaarigen Frau, die lächelt und einen dunkelblauen Blazer und eine weiße Bluse trägt. Im Hintergrund sieht man verschwommen Wohnhäuser und Plattenbau.
Brigitte Meier, Beigeordnete für Ordnung, Sicherheit, Soziales und Gesundheit der Landeshauptstadt Potsdam
Zur Person
Geboren 2.1.1965 in Simbach am Inn
Ausbildung
1984 bis 1988 Studium der Sozialen Arbeit an der katholischen Stiftungsfachhochschule München, Abschluss Diplom Sozialpädagogin (FH)
1998 bis 2003 Studium der Pädagogik, Psychologie und Soziologie an der Ludwig-Maximilians-Universität München, Abschluss Magister
Berufliche Stationen
1988 bis 1995 Geschäftsführerin und Sozialarbeiterin bei der Sozialistischen Jugend Deutschlands – Die Falken Bayern und München
1995 bis 2007 Lehrtätigkeit in der Aus- und Fortbildung von Erzieherinnen/Erziehern und Pflegekräften
2007 bis 2010 Geschäftsführerin der Anderwerk gGmbH, einer 100 %igen Tochter der Arbeiterwohlfahrt München
2010 bis 2016 Sozialreferentin der Landeshauptstadt München
2016 bis 2019 Geschäftsführerin der Israelitischen Kultusgemeinde München und Oberbayern
Seit 1.7.2019 Beigeordnete für Ordnung, Sicherheit, Soziales und Gesundheit der Landeshauptstadt Potsdam, seit 1.9.2019 Aufsichtsratsvorsitzende der ProPotsdam GmbH

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