Aus der EINSVIER: Potsdam 2050

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Illustration einer Stadt von morgen mit Fahrrädern, Solaranlagen, Windkraft, Foodtruck mit veganem Essen

Potsdam 2050

In den vergangenen Jahren haben wir die Auswirkungen des Klimawandels immer mehr zu spüren bekommen, vor allem mit trockenen und extrem heißen Sommern. Der Krieg in der Ukraine und die daraus resultierende Energiekrise haben zudem gezeigt, dass unsere Gesellschaft dringend den Ausbau regenerativer Ressourcen vorantreiben muss. Wie eine positive Zukunft der Stadt aussehen könnte, hat EINSVIER-Redakteurin Sarah Stoffers sich von Expert*innen erklären lassen.

Potsdam im Winter 2050. Wie jeden Morgen klingelt mich mein Wecker aus dem Bett. Ich stehe langsam auf, laufe in meine kleine Kochnische und schalte den Kaffeeautomaten an. Die Fußbodenheizung in meiner Wohnung gibt wohlige Wärme ab. Mit der dampfenden Tasse in der Hand stehe ich am Fenster und blicke auf die Stadt.

Der Strom in meiner Wohnung kommt von der Photovoltaikanlage auf dem Dach. Daneben wird die Stadt von Windkraftanlagen und Solarfeldern versorgt. Der Anteil an heimisch produzierter Energie wurde in den vergangenen Jahren massiv erhöht. Und: Er ist zu 100 Prozent grün.

Das hofft Daniel Acksel vom Deutschen GeoForschungsZentrum (GFZ) mit Blick auf unsere Zukunft. Acksel ist Teil des Leitungsduos im Department Geosysteme und beschäftigt sich mit Geothermie, Geospeichern und der Energie- und Wärmewende, mit Wissenschaftsmanagement und Technologietransfer sowie der Frage, wie Innovationen ihren Weg in den Alltag finden können.

 

Daniel Acksel vom Deutschen GeoForschungsZentrum
Blickt positiv in eine nachhaltigere Zukunft: Daniel Acksel vom GFZ.

Wärme aus Potsdams Erde

„In den kommenden 30 Jahren wird es der internationalen Staatengemeinschaft gelungen sein, den jetzt schon vorhandenen Emissionshandel so weit zu operationalisieren, dass das Verbrennen von fossilen Energieträgern als zu unwirtschaftlich angesehen sein wird“, kann sich Acksel vorstellen. Deutschland ist im Jahr 2050 weiterhin auf Energieimporte angewiesen, aber auch diese sind „grün“.

Nach dem Koffein-Kick steige ich in meine Dusche. Die Wärme für das Wasser, wie auch fürs Heizen, kommt zu einem erheblichen Teil aus der Erde. In Potsdam stehen mehrere Tiefengeothermie-Anlagen, daneben gibt es oberflächennahe Geothermie-Anwendungen für einzelne Gebäude oder Wohnkomplexe.

Zusammen mit einer geschickten Kopplung mit Wärmepumpen kann die benötigte Wärme in Zukunft dauerhaft in der Stadt hergestellt werden, meint Acksel. Um auch höhere Bedarfe decken zu können, etwa im Winter, brauchen wir im Jahr 2050 noch andere Energieträger. Beispielsweise grünen Wasserstoff, der aber kostbar und teuer ist, und vor allem in der Energieerzeugung sowie der Automobil-, Stahl-, Chemie- und Elektroindustrie genutzt wird. Oder Biomasse, die in Anlagen verbrannt wird. Das dabei entstehende CO2 wird abgeschieden und etwa in der Industrie eingesetzt. Der Rest des Kohlendioxids könnte in der Erde dauerhaft gespeichert werden.

Angelika Drescher vom Bauhaus der Erde hält ein Holzbaumodell in der Hand.
Vorher: Das ehemalige Stabsgebäude in der Johannes-Lepsius-Straße.

Mehr clevere Umnutzung, weniger Neubau

Ich wohne in einem aufgestockten Wohnhaus. Dies ist typisch in der Stadt geworden, denn um Ressourcen zu schonen, wird weniger neu gebaut. So sieht die Architektin Angelika Drescher die Zukunft des nachhaltigen Bauens. Gemeinsam mit Claudia Bode leitet und koordiniert sie in Potsdam das Projekt „Epizentrum Bauwende“ der Initiative Bauhaus der Erde. In der Landeshauptstadt soll dafür ein Demonstrationspavillon aus nachwachsenden und wiederverwendeten Baumaterialien entstehen, der die Ideen der Initiative präsentieren und zum Nach- und Umdenken beitragen soll.

Nach Ansicht von Drescher hat sich Potsdam, wie alle Städte, im Jahr 2050 weiter verdichtet. „Wir werden deutlich mehr mit unseren Nachbarn zusammenrücken“, so die Architektin. Denn unsere Wohnfläche ist pro Person kleiner geworden. Vor allem gemeinschaftliches Wohnen, sogenanntes Cluster-Wohnen, wird typischer.

In meinem Wohnhaus der Zukunft gibt es Gemeinschaftsräume zum Treffen, Feiern, Quatschen und eine gemeinsame große Küche. Um die älteren Bewohner*innen kümmert sich die Nachbarschaft gleich mit. Ein kleines Schlafzimmer, ein Wohnzimmer mit einer Mini-Kochnische und ein eigenes Bad – das ist mein privater Rückzugsort.

Alternative Proteinquellen zum Essen

Nachdem ich mich fertiggemacht habe, laufe ich in die Gemeinschaftsküche. Im Kühlschrank steht noch die Pasta aus Insektenmehl mit selbstgemachter Bolognese. Insekten sind in 2050 eine Ergänzung zu unseren Lebensmitteln geworden. Sie liefern wichtige Inhaltsstoffe, vor allem hochwertiges Protein und sind einfach zu züchten, erklärt Oliver Schlüter vom Leibniz-Institut für Agrartechnik und Bioökonomie (ATB) mit Sitz in Potsdam. Schlüter ist Sprecher des Programmbereichs „Gesunde Lebensmittel“. Er forscht zur Nutzung, Kultivierung und Verbesserung von neuen Bioressourcen für die Human- und Tierernährung wie Hanf, Insekten oder Makroalgen sowie zu neuen Technologien in der Aufbereitung, Verarbeitung und Haltbarmachung von Lebensmitteln.

Zurück in der Zukunft: Ich greife statt zu den Nudeln zum Smoothie aus Halophyten. Diese Pflanzen wachsen an salzreichen Standorten etwa im Uferbereich. Derzeit wird erforscht, wie sie, ebenso wie auch Makroalgen, Quallen und andere alternative Proteinquellen in unserer Region angebaut oder gezüchtet und für die Lebens- und Futtermittelproduktion genutzt werden können. Innovative, regionale Konzepte werden aufgrund der wachsenden Weltbevölkerung, des Klimawandels und mit Blick auf die aktuellen Krisen immer wichtiger.

Unser Essensangebot werde in Zukunft reichhaltiger, aber nicht komplett anders als heute sein, sagt Schlüter. „Wir sind flexibler, essen mal Insekten, ab und an einen Fisch, viele Pflanzen und selten auch mal Fleisch.“ Wichtig werde vor allem die Nutzung der Stoffnebenströme. So könnte etwa aus aussortiertem Gemüse ein Futtersubstrat für die Insekten werden. Häute, Kot oder Futtermittelreste der Insekten kommen in die Biogasanlage. Die dort anfallenden Reste werden zu Biokohle gepresst, die als Dünger in die Erde kommt.

Wir sind flexibler, essen mal Insekten, ab und an einen Fisch, viele Pflanzen und selten auch mal Fleisch.

Shikha Ojha und Oliver Schlüter stehen im Labor des Leibniz-Instituts für Agrartechnik und Bioökonomie
Oliver Schlüter, Leibniz-Institut für Agrartechnik
Jan Kuppert vom Verkehrsclub Deutschland fährt Rikschau auf einer verschneiten Straße.
Per pedes: Jan Kuppert vom VCD wünscht sich eine weitestgehend autofreie Stadt.

Vorrang für Radfahrer und Fußgänger

Ich steige nach meinem Frühstück die Treppe bis ins Erdgeschoss hinunter. Dort sind Gewerbe und kleinere, produzierende Betriebe eingezogen. Im Winter ist einer der Räume ein Deko-Laden, jeden Sommer zieht ein Eiscafé ein. Denn Leerstand soll in Zukunft durch Umnutzung, Umbau und clevere, auch temporäre Lösungen vermieden werden, sagt Angelika Drescher. Neue Gebäude entstehen aus regionalem Holz und anderen biobasierten Materialien oder aus den Rohstoffen alter Gebäude. Die werden nicht mehr einfach abgerissen, sondern zurückgebaut, so Drescher.

Ich schwinge mich auf mein Lastenrad. Mit dem Vehikel erledige ich meine Erledigungen. Das Radwegenetz in Potsdam ist ausgebaut und deutlich sicherer. So stellt sich Jan Kuppert, Sprecher der Ortsgruppe des Verkehrsclub Deutschland (VCD), unsere Stadt in 30 Jahren vor. Der VCD setzt sich für eine sozial- und umweltverträgliche Mobilitätswende ein.

Auch Rikschas sind im Jahr 2050 als Taxis unterwegs. Kuppert kann sich vorstellen, dass sie in der Stadt das Auto ersetzen. Im Privatbesitz wird es Autos dann kaum mehr geben, auch weil es nur wenige teure Parkplätze gibt. Die freigewordenen Flächen sind grün und mit Bäumen bepflanzt.

Mittels Sharing-Systemen können Autos ausgeliehen werden. Fußgänger*innen und Radfahrer*innen werden in der Stadt aber klar Vorrang haben, hofft Kuppert. Die Autos sind so konzipiert, dass sie innerorts nur noch Tempo 30 fahren können, clevere Assistenten blockieren das Parken auf Fuß- oder Radwegen und verhindern Unfälle.Neben den Radwegen ist auch das Straßenbahnnetz gut ausgebaut. In den Stadtteilen gibt es autonom fahrende Zubringerbusse zu den Haltestellen, damit auch Menschen, denen die Wege zu Fuß oder per Rad Probleme bereiten, die letzte Meile überbrücken können.

In der gesamten Stadt blicke ich auf viel Grün. Flächen wurden in den vergangenen Jahrzehnten entsiegelt, damit das Regenwasser aufgenommen und gespeichert werden kann. Es wachsen viele Bäume und Pflanzen, auch essbare, um die sich die Nachbarschaften kümmern. Auch an den Fassaden und auf den Dächern. Im heißen Sommer kühlt die Natur die Stadt deutlich ab. Ich genieße die frische Luft und freue mich, dass wir es beim Thema Nachhaltigkeit so weit gebracht haben.

TEXT SARAH STOFFERS

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